Briefe aus der Provinz (1): Wie “Hidden Champions” die Peripherie voranbringen

Hauptsitz der Kaeser Kompressoren SE im oberfränkischen Coburg. Bild: Kaeser
Hauptsitz der Kaeser Kompressoren SE im oberfränkischen Coburg. Bild: Kaeser

von Peter Ring

Das regionalpolitische Credo, man brauche nur das Zentrum zu stärken, dann entwickle sich auch das übrige Land, hat sich – zumindest in großräumiger Betrachtung – als untauglich erwiesen: Einem zunehmenden Druck auf die Ballungsräume steht vielfach eine Entleerung peripher gelegener Gebiete gegenüber. Um eine „Entschleunigung“ dieser, mit infrastrukturellen Engpässen und Verringerung der Lebensqualität auf beiden Seiten verbundenen Entwicklung zu erreichen, setzt die Politik verstärkt auf die Schaffung qualifizierter Arbeitsplätze in den Abwanderungsgebieten. Dazu soll einmal die Ansiedlung standortadäquater Bildungs- und Forschungseinrichtungen, zum anderen die Verlagerung öffentlicher Behörden und Verwaltungen aus den Zentren in die strukturschwachen Räume beitragen.

Ein Beispiel:
Industriestandort Oberfranken

Bayern geht diesen Weg schon seit einigen Jahren – beispielsweise in Oberfranken. Dieser bis zur ehemaligen innerdeutschen Grenze reichende nordöstliche Teil des Landes liegt zwar noch innerhalb der Metropolregion Nürnberg, ist jedoch offensichtlich zu weit vom Zentrum entfernt, um in hinreichender Weise von dessen hoher Zentralität zu profitieren. Die langjährige Abschnürung vom natürlichen Umland und der Niedergang traditioneller Industrien haben zur Abwanderung junger Arbeitskräfte und damit zu einer partiell extremen Überalterung der Bevölkerung geführt. Vor diesem Hintergrund gehen die aktuellen Prognosen davon aus, dass die Zahl der Einwohner auch künftig – bis 2037 um durchschnittlich mehr als fünf Prozent – zurückgehen wird. In einzelnen nordöstlichen Landkreisen wird sogar mit einer Schrumpfung um bis zu 14 Prozent gerechnet.

Über den Autor: Prof. Dr. Peter Ring war u.a. Leiter der Abteilung Berlin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Haupt-geschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau Berlin. 1990 gründete er das Forschungsbüro regioconsult und wenig später den Regioverlag mit der Edition StadtWirtschaft. Außerdem lehrte er Regionalökonomie an der TU Berlin und an der Kunsthochschule Berlin.

In Anbetracht der ungünstigen demografischen Entwicklung ist es bemerkenswert, dass die Zahl der Beschäftigten in Oberfranken kontinuierlich steigt und 2017 um 16 Prozent höher war als zehn Jahre davor. Diese Entwicklung ist vor allem den haushaltsorientierten Dienstleistungen, zu einem wesentlichen Teil aber auch dem Verarbeitenden Gewerbe (+12 Prozent) zu verdanken: Der gravierende Verlust von Arbeitsplätzen in den ehemals vorherrschenden Branchen Textil, Glas/Keramik und Polstermöbel konnte im Verlauf des letzten Jahrzehnts durch neue Beschäftigungsmöglichkeiten im Maschinenbau, bei Elektronik und Optik, Fahrzeugkomponenten und Kunststoffen überkompensiert werden. 2017 waren rund 120.000 Beschäftigte im Verarbeitenden Gewerbe tätig; der Umsatz erreichte annähernd 24 Mrd. Euro.

Innovative Familienunternehmen mit regionaler Bindung dominieren

Von wenigen großen Konzernen wie Siemens in Forchheim und Bosch in Bamberg abgesehen, bestimmen mittelständische Familienunternehmen die Szene. Dazu gehören beispielsweise Kaeser Kompressoren, Brose automotive, Kapp-Niles Maschinenbau, Moll Batterietechnik, Schumacher Packaging, Sandler Vliesstoffe oder Rehau Polymer. Die meist familiengeführten Unternehmen sind durchweg weltweit tätig und vielfach Marktführer; mehr als 50 Prozent aller in Oberfranken erstellten Waren werden exportiert.

Ein entscheidender Grund für den anhaltend kräftigen Aufschwung im Verarbeitenden Gewerbe ist die starke regionale Bindung vieler Unternehmen. Sie garantiert, dass hier nicht nur in die Produktion investiert wird, sondern auch der Firmensitz samt Verwaltung und Forschung in Oberfranken bleibt. Die hohe Innovationsintensität der Unternehmen zeigt sich daran, dass der Index der Patentanmeldungen doppelt so hoch ist wie in der gesamten Volkswirtschaft und die internen F&E-Aufwendungen seit Jahren überdurchschnittlich zunehmen.

Hochschulen sind anwendungsorientiert und intensiv vernetzt

Dazu hat zweifellos der forcierte Ausbau der Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Bamberg, Bayreuth, Coburg und Hof, deren Konzentration auf industrieorientierte Arbeitsgebiete und ihre Vernetzung im Rahmen einer regionalen Technologieallianz beigetragen. Ein aktuelles Beispiel ist der 3D-Campus Lichtenfels: Die im Jahr 2000 von einem Absolventen der Hochschule Coburg gegründete Concept Laser entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zu einem der weltweit führenden Anbieter von Maschinen- und Anlagentechnik für den 3D-Druck von Metallbauteilen. 2016 übernahm General Electric 75 Prozent der Firma und investiert derzeit mehr als 100 Mill. Euro in den Standort.  Auf dem 3D-Campus wird künftig alles “von der Idee bis zum fertigen Produkt” stattfinden. Geplant ist eine Verdoppelung des Beschäftigtenbestands. Die kleine Stadt Lichtenfels – ehemals Zentrum der Korbflechterei – wird damit weltweit zu einem  Leuchtturm der 3D-Metalldruck-Technologie.

“Heimatstrategie” stärkt den ländlichen Raum

Um die Zentralität strukturschwacher Räume zu erhöhen und auf diese Weise zugleich deren Attraktivität für höherwertige Dienste zu verbessern verlagert das Land Bayern im Rahmen seiner „Heimatstrategie“ bis zum Jahr 2025 mehr als 50 Behörden und staatliche Einrichtungen aus Ballungszentren in ländliche Regionen. In Oberfranken handelt es sich beispielsweise um die Verwaltung der bayerischen Staatsbäder in Bad Steben, das Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung in Hof und das Kompetenzzentrum Ernährung der Landesanstalt für Landwirtschaft in Kulmbach. Dort wird gleichzeitig eine neue Fakultät für Lebenswissenschaften „Food, Nutrition and Health“ der Universität  Bayreuth angesiedelt, die zusammen mit den ansässigen industriellen Kompetenzen sowie der Fachschule für Lebensmitteltechnik eine Plattform für den Austausch zwischen Ernährungsforschung, Ernährungswirtschaft/Produktion und Ernährungsbildung bildet.

Erforderlich: Mehr Interesse für berufliche Bildung…

Gleichwohl: Mit annähernd 30 Prozent aller Beschäftigten wird das Verarbeitende Gewerbe auf absehbare Zeit unverzichtbare Basis und Innovationstreiber der Wirtschaft in Oberfranken bleiben. Ob die Potenziale ausgeschöpft werden können, hängt allerdings ganz wesentlich davon ab, dass es gelingt, Engpässe bei Fachkräften mit abgeschlossener Berufsausbildung zu verhindern. Von dem erwarteten Rückgang an Schulabgängern ist die Industrie in besonderem Maße betroffen, weil die Zahl der Schüler mit mittlerem Schulabschluss – die primäre Zielgruppe für viele Branchen – zumindest auf mittlere Frist überdurchschnittlich abnimmt. Bei den Schulabgängern mit höheren Abschlüssen kommt erschwerend die wachsende Konkurrenz zwischen beruflicher und akademischer Ausbildung hinzu. In dieser Situation muss künftig die berufliche Bildung im Focus unternehmensspezifischer wie intermediärer Initiativen stehen. Die Zusage der Staatsregierung, mittelfristig auch in den dünn besiedelten Gebieten keinen Schulstandort zu schließen, die hohe Differenzierung und Durchlässigkeit des bayerischen Schulsystems sowie die vielfach vernetzten Weiterbildungseinrichtungen eröffnen hierzu genügend Spielräume. Letztlich entscheidend ist jedoch eine gesellschaftliche Aufwertung von beruflicher Bildung und gewerblicher Tätigkeit.

… und verbesserte Netze für Kommunikation und Verkehr

Und noch etwas ist bei einer Würdigung des wirtschaftlichen Strukturwandels in Oberfranken zu berücksichtigen: Entlang der Verkehrsachse Nürnberg-Erfurt verläuft die Entwicklung deutlich dynamischer als in den östlichen, verkehrlich weniger gut angebundenen Landkreisen. Damit auch deren Attraktivität für Wirtschaft und Bevölkerung steigt, ist eine bessere Erreichbarkeit unverzichtbar. Dazu gehört einmal der beschleunigte Ausbau der unterentwickelten Telekommunikationsnetze. Erforderlich ist aber auch die Verbesserung der Bahnverbindungen. Aktuelle Überlegungen zur Integration des Güterverkehrszentrums Hof in die Schienenverkehrsplanungen zwischen Westdeutschland und China sind für den schnelleren transkontinentalen Transport von Exportgütern aus Oberfranken wichtig. Vordringlich scheint jedoch eine Verbesserung der Bahnverbindungen innerhalb der Metropolregion Nürnberg sowie mit den benachbarten Regionen in Sachsen und Tschechien.

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