Was Wirtschaftsflächenkonzepte können – und was nicht: Von einer schwierigen Geburt in Berlin, Verwaltungshandeln und was man daraus lernen kann

von Simon Argus

Am Ende lag die Erleichterung greifbar in der Luft: Drei lange und an Diskussionen reiche Jahre nach der Beauftragung wurde das Wirtschaftsflächenkonzept für den Berliner Bezirk Lichtenberg beschlossen. Endlich! Allerdings nicht – wie in dem durch die Senatsverwaltung vorgegebenen Leitfaden vorgesehen – als  “Bereichsentwicklungsplanung” (BEP), sondern nur als “sonstige Fachplanung”. Das beschränkt seine bindende Wirkung – aber was heißt das? Drei Jahre Arbeit für die Schublade? 

Der schon ein wenig enttäuschend klingende Stadtplanerterminus “Sonstige Fachplanung” hat Konsequenzen für die Verbindlichkeit des wichtigsten flächenbezogenen Konzepts im Bezirk für andere Fachämter: Auch als “BEP” wäre ein Wirtschaftsflächenkonzept in Planverfahren zwar nur zur Abwägung heranzuziehen, die darin enthaltenen Handlungsempfehlungen könnten also in jedem Einzelfall auch “weggewogen” werden, etwa weil Belange anderer Bereiche, des Umweltschutzes beispielsweise, als überwiegend eingeschätzt werden. Eine “sonstige Fachplanung” muss jedoch lediglich zur Kenntnis genommen werden – das ist in der Verwaltungspraxis häufig gleichbedeutend mit totaler Nichtbeachtung. Der Vorteil davon aus Verwaltungssicht liegt auf der Hand: Die Akte ist in jedem Fall sauber.

Die Akte ist sauber – aber ist das nun ein Sieg oder eine Niederlage?

Aber ist eine fehlende Selbstbindung überhaupt ein Problem – angesichts eines Konzepts, dessen Flughöhe ohnehin keine konkrete Detailplanung vorsieht und das als analytisches und strategisches Instrument viel mehr den Willen des Bezirks in Sachen Wirtschaftsflächen für die nächsten 10 bis 20 Jahre skizzieren soll? Und widerspricht es (nicht) dem Wesen einer Verwaltung “in Konzepten” also unverbindlich zu denken?

Oder handelt es sich um eine Niederlage – für die Verwaltung, die Wirtschaft oder die Bezirkspolitik? In diesem Zusammenhang sollte vielleicht noch einmal daran erinnert werden, was Inhalt und Aufgabe eines solchen Konzepts ist. Es stellt sich zudem die Frage, ob es dem Aufgabenverständnis von Verwaltung überhaupt entspricht “in Konzepten” also unverbindlich zu denken. Also nicht gleich alles abzulehnen, was nicht 1 zu 1 in normiert in Nebenbestimmungen und Auflagen einer Baugenehmigung oder sonstigen Verordnung übersetzt werden kann.

Die bezirklichen Wirtschaftsflächenkonzepte (WiKos) sollen für alle Berliner Bezirke erstellt werden. Aktuell ist die Erarbeitung in drei Bezirken noch offen. Die rot dargestellten Bezirke Spandau und Lichtenberg werden von uns bearbeitet. Größere Wirtschaftsflächen (Gewerbegebiete) sind in grau dargestellt (Abbildung: regioteam).

Auch wenn derzeit die Entwicklung der Wirtschaft immer schnelllebiger, Produktzyklen immer kürzer und Beschäftigungsverhältnisse immer flüchtiger werden: Als Garantin der Daseinsvorsorge, also im Kontext der Stadt- und Gewerbeentwicklung auch als “Richterin” über die Flächennutzung, muss die öffentliche Hand nach vorne denken. Die Ressource Raum ist inzwischen in fast allen Kommunen nahe der Erschöpfungsgrenze und nicht alle damit künftig verbundenen Probleme lassen sich mit den Instrumenten und Strategien von gestern und heute regeln.

Deshalb muss sich auch die Verwaltung zunehmend in Szenarien mit der Zukunft befassen. Auf der Basis des Leitbilds von Resilienz und nachhaltiger Entwicklung stellt sich im Bereich der Wirtschaftsflächen die schwierige Aufgabe, eine “offene Zukunft” zu gestalten, also keine durch starre Regeln und Paragraphen vorgezeichnete Entwicklung, sondern eine, die in der Lage ist, sich wandelnden Rahmenbedingungen anzupassen. Auch deshalb sind die Wirtschaftsflächenkonzepte im ersten Schritt Analyse und Dokumentationen des Ist-Zustands. Sie erfassen beispielsweise die Flächennutzung auch in Kategorien, die eben nicht nur auf das Planungsrecht abstellen, sondern zusätzlich andere, stärker strategisch ausgerichtete Aspekte berücksichtigen: z. B. Konfliktpotenziale unterschiedlicher Nutzungsinteressen, lokale Bedarfsstrukturen, Hemmnisse der Aktivierung von Flächenpotenzialen oder die zu erwartende qualitative Entwicklung des lokalen Flächenmarkts.

Ergänzt um die im Verfahren mit den Stakeholdern ausgehandelten Zielvorstellungen für eine nachhaltige Gewerbeflächenentwicklung ergeben sich Handlungsempfehlungen, die sich natürlich noch nicht unmittelbar in Planungsrechts übersetzen lassen.

Wer bin ich – und wenn ja wie viele?

Doch die babylonische Verwirrung in den bezirklichen Verwaltungsstuben im Zusammenhang mit der Beschlussfassung des WiKo-Konzept ist nicht nur der bürokratisch-verbindlichen Verwaltungssichtweise geschuldet. Sie hat auch mit den Geburtsfehlern des berlinweit standardisierten Wirtschaftsflächenkonzepts selbst zu tun, welcher in der Senatsverwaltung in einen Leitfaden gegossen an die Bezirke (bzw. deren Auftragnehmer) weitergereicht wurde. Denn die Autoren des Leitfadens waren sich offenbar selbst noch nicht ganz sicher was ihr Baby, sozusagen der bezirkliche Cousin des Stadtentwicklungsplans (StEP) Wirtschaft auf welcher räumlichen Ebene eigentlich sein soll und darf.

So sind ein paar Widersprüche bislang unkommentiert stehengeblieben:

  • Das WiKo soll den StEP Wirtschaft laut Leitfaden “auf kleinräumiger Ebene konkretisieren, ergänzen und umsetzen” – soll aber andererseits gerade bei den Maßnahmen nicht allzu (räumlich) konkret werden.
  • Das WiKo ist auch als strategisches Entwicklungskonzept gedacht, es soll den Planungswillen von Land und Bezirken daher abstrakt, z. B. in eher diffusen “Zielkonzepten: Räumliche Strategien” für die gewerblichen Standorte ausdrücken und “Profilbereiche” für “gewerbliche Standorte mit einer spezifischen inhaltlichen Ausrichtung” definieren. Für eine aktiv-steuernde angebotsbasierte Entwicklung der Gewerbestandorte fehlen jedoch in der Regel die eigenen Flächen. Darüber hinaus stehen kaum weitere Instrumente für eine Durchsetzung der Ansätze zur Verfügung. Mit Ausnahme von eben sehr konkret-verbindlichen: per Bebauungsplan.
  • Das Konzept soll gleichzeitig ausreichend konkret sein, um einzelne Maßnahmen auf Kompatibilität zwischen den Planungs- und Gestaltungsabsichten von Land und Kommune prüfen zu können – oder eben Dissense auszuweisen. Identifizierte Konfliktbereiche sollen dann entsprechend flurstücksgenau dokumentiert werden. Allerdings sollen und können solche inhaltlichen – und wie die Praxis gezeigt hat – auch durchaus strategischen oder politischen Konflikte, in den Konzepten nicht ausgeräumt werden.
  • Das WiKo ist ein auf die lange Perspektive ausgerichtetes Entwicklungskonzept, das aber als Bereichsentwicklungsplanung (BEP) beschlossen werden soll. Eine “echte” BEP setzt aber eigentlich eine fachbereichsübergreifende Einigung über Zuständigkeiten, Betroffenheiten und Ansprüche geplanter Maßnahmen voraus – einschließlich der Sicherheit über entsprechende Mittel in der Haushaltsplanung. Allein deshalb haben sich in den Abstimmungsrunden zum WiKo zunächst eine Reihe von Fachämtern von einer Zusammenarbeit distanziert: unbestimmten, unfinanzierten Projekten in einer ungewissen Zukunft will sich keine Amtsleitung leichtfertig ausliefern.

Hier schließt sich dann der Kreis: Das WiKo ist nicht konkret genug – und kann das auch nicht sein – um als verbindliches Maßnahmenkonzept beschlossen werden zu können. 

Warum wir die WiKos dennoch für wichtig halten

In Bezug auf mehrere Aspekte sind die Wikos hilfreich und können durchaus ihrer Aufgabe der Konkretisierung des gesamtstädtischen Stadtentwicklungsplans Wirtschaft gerecht werden (zur Bedeutung von Gewerbeflächenentwicklungskonzepten äußern wir uns noch in einem gesonderten Beitrag). Besonders wichtig aus unserer Sicht:

  • Die bezirklichen Wirtschaftsflächenkonzepte bieten eine räumlich-detaillierte Bestandserfassung von Flächen und konkreten Nutzungen, also der Funktionen der ansässigen Wirtschaft, die den Akteuren in Stadtplanung und Wirtschaftsförderung eine gute Arbeitsgrundlage geben. Dieses Wissen hilft bei der Alltagsarbeit  – wie z. B. bei der Bearbeitung von Antragsprozessen, konkreten Anfragen o. ä.. Es bietet aber gleichzeitig auch die Grundlage für die eigene konzeptionell-strategische Arbeit.
  • Im Rahmen der Erarbeitung der Konzepte erfolgt vor dem Hintergrund der Aussagen des StEP Wirtschaft eine Auseinandersetzung mit Zielen, Strategien und Konzepten der Bezirke. Deren Abstimmung und Konkretisierung bilden eine wichtige Basis für die Arbeit der Verwaltungen. 
  • Das WiKo gibt in seinem Umsetzungsteil zahlreiche Anregungen und enthält    Maßnahmenvorschläge, die als Grundlage für das Verwaltungshandeln – aber ohne die häufig diskutierte Bindungswirkung – herangezogen werden sollten. Es hilft Ideen zu entwickeln, Aufgaben zu erkennen und Prioritäten der eigenen Arbeit zu setzen.

Was ist zu tun?

Im ersten Schritt sollte daher der Charakter der WiKos weiter konkretisiert und deren Rolle und strategische Ausrichtung nachgeschärft werden.

Abwägung und Verbindlichkeit hin oder her: Die Konzepte sollen der Verwaltung als Orientierung für ihre Entscheidungen dienen – ohne diesen Entscheidungen im konkreten Fall immer verbindlich vorzugreifen.

Es ist daher durchaus sinnvoll und wichtig, diese Konzepte auf der höchstmöglichen Ebene zu beschließen, um damit deren strategischen Ziele und inhaltlichen Ausrichtungen zu bestätigen und gleichzeitig auch die Maßnahmenvorschläge zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Insofern könnte die entsprechende Beschlussfassung als Teil der BEP, wenn man deren bindende Wirkung ernst nimmt, tatsächlich zu unnötigen Diskussionen führen. Ein Beschluss in der BVV sollte es aber doch auf alle Fälle sein.

Der Handlungsempfehlung der regelmäßigen Fortschreibung, die jedem Wirtschaftsflächenkonzept gut zu Gesicht steht, ist im Fall der Berliner “WiKos” also wohl mindestens noch eine weitere dringende Handlungsempfehlung hinzuzufügen: “Form follows Function” – die WiKos brauchen eine klar definierte Funktion und sollten in ihrer Neuauflage auch in ihrer Form diesem Daseinszweck konsequent folgen.