Ein typisches Gewerbegebiet im Osten Berlins: Während sich auf der Ausfallstraße zur Autobahn mal wieder lange Rückstaus bilden, rosten die alten Gleise der Industriebahn in der Sonne vor sich hin. Ähnlich sieht es heute in vielen der städtischen Gewerbe- und Industriegebiete aus: Die Bahntrassen liegen brach und die Wasserstraßen werden von Freizeitkapitänen genutzt – auf den Straßen dagegen wird es eng. Und es rußt, denn die Wirtschaft ist – derzeit noch – auf den Diesel-LKW angewiesen.
Nicht erst als Folge der aktuellen Diskussion um die Luftschadstoffe wird das steigende Verkehrsaufkommen der Wirtschaft als eine Herausforderung wahrgenommen: Die Flächennachfrage durch logistiknahe Unternehmen steigt in den innerstädtischen Gewerbestandorten deutlich an.
Es sind einerseits die technologischen Entwicklungen, die zu veränderten Anforderungen an die unternehmensinterne und die B2B-Logistik führen. Dazu zählen die Verzahnung der industriellen Produktion mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik (Industrie 4.0) sowie die zunehmende Vernetzungen mit Zulieferern und Kunden. Hinzu kommt andererseits das veränderte Konsumverhalten. Das Weihnachtsgeschäft 2017 hat gezeigt, dass der wachsende Online-Handel die Logistikunternehmen vor große Herausforderungen stellt: Während es in der Stadt zu einer Atomisierung der Sendungen, d.h. zu immer kleinteiligeren Lieferungen an eine steigende Zahl von Empfängern kommt, breiten sich in den Gewerbegebieten große Logistikhallen aus. Von diesen derzeit noch überwiegend von jeweils einzelnen Dienstleistern genutzten Knotenpunkten aus wird die Belieferung der Innenstädte organisiert. Die Folgen: Ein steigendes Verkehrsaufkommen und eine zunehmenden Konkurrenz um geeignete und verfügbare Gewerbeflächen in der Innenstadt.
Und alle Prognosen gehen davon aus, dass der Wirtschaftsverkehr auch in Zukunft weiter zunehmen und sich seine Struktur mit fortschreitender Digitalisierung verändern wird. Zukunftsfähige Gewerbestandorte müssen diesen Entwicklungen Rechnung tragen und Verkehrs- wie Wirtschaftspolitik müssen sich darauf einstellen.
Um den Mobilitätsanforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft gerecht zu werden und an innenstadtnahen Standorten gleichzeitig den Verkehrsinfarkt zu vermeiden, lassen sich vier Handlungsfelder identifizieren, die für eine zukunftsfähige urbane Mobilität von entscheidender Bedeutung sind:
- Eine urbane Verkehrsinfrastruktur, die von der öffentlichen Hand bereitgestellt wird und die auch den Anforderungen des Wirtschaftsverkehr Rechnung tragen muss,
- neue, innovative Mobilitätstechnologien, die als „hardware“ bei der Bewältigung von Herausforderungen zur Verfügung die zunehmend kostenintensiven und umweltschädliche Technologien ablösen sollen,
- die Digitalisierung als entscheidende Basis für Effizienzsteigerungen in der Logistik und schließlich, mit Blick auf die gesamte Stadtgesellschaft,
- die gesellschaftliche Akzeptanz und die Flexibilisierung rechtlicher Rahmenbedingungen, die für eine erfolgreiche Einführung neuer Verkehrstechnologien und Geschäftsmodelle erforderlich sind.
An diesen Stellschrauben müssen die Lösungen der Konflikte im Bereich der urbanen Mobilität ansetzen. Im Stadtraum gilt dies insbesondere für die zunehmende Flächenkonkurrenz und die hohen Emissionen durch das Verkehrsaufkommen.
Herausforderung 1: Flächenkonkurrenz.
Die zunehmende Flächenkonkurrenz erfordert eine Neuverteil des zur Verfügung stehenden öffentlichen Raumes unter den unterschiedlichen Mobilitätsnutzern, die durchweg einen wachsenden Flächenbedarf für sich reklamieren. Dabei konzentriert sich zwar die öffentliche Debatte derzeit auf den steigenden Raumbedarf des Radverkehrs, aber auch der öffentliche Verkehr und der Wirtschafts- und Lieferverkehr benötigen mehr Platz. Um einen Ausweg aus diesem offensichtlichen Dilemma zu finden sind neue Denkansätze, innovative Technologien, aber sicherlich auch eine Neubewertung von Prioritäten notwendig. Für den Wirtschaftsverkehr werden derzeit zahlreiche Modelle diskutiert, so etwa ein Vorrang des städtischen Lieferverkehrs über spezielle Fahrspuren und mehr Ladezonen, eine Konzessionierung des Lieferverkehrs in den einzelnen Stadtteilen, um eine Reduzierung der Anzahl von Fahrten zu erreichen, oder die Einrichtung von dezentralen Hubs, von denen aus die Kunden dann mit emissionsarmen Verkehrsmittel beliefert werden.
Neben dem öffentlichen Raum zieht das Wachstum der städtischen Logistik damit aber auch einen Flächenbedarf an Hallen und sogenannten E-Fulfillmentcenter zur Kommissionierung von Sendungen und Bearbeitung von Retouren oder eben von dezentralen Lagermöglichkeiten nach sich. Gegen diese wachsende Nachfrage nach Flächen in den innenstadtnahen Lage – auch den Gewerbegebieten – können sich gerade die kleineren Handwerksbetrieb mit Bedarf an störungsarmen Flächen nur schwer behaupten.
Ansätze zur Entlastung der wertvollen städtischen Gewerbeflächen sind einerseits dezentrale Depots im Innenstadtbereich in der Last-Mile-Zustelllogistik, sogenannte „City-Logistik-Hubs“. Sie ermöglichen extrem zeitnahe Lieferungen mit kurzen Lieferwegen. Lastenfahrräder können von dort kleinteilige Einzellieferungen übernehmen. Trotz der hohen Flächenpreise sind solche mehrgeschossigen innerstädtischen Hubs inzwischen in mehreren deutschen Städten in Bau oder schon in Betrieb. In Berlin-Wilmersdorf hat Amazon unmittelbar am Kurfürstendamm im Jahr 2016 ein Verteilzentrum für seine prime-Kunden in Betrieb genommen, das 2.500 qm Flächen in Anspruch nimmt. Allerdings sind auch solche dezentralen Hubs auf größere Verteilzentren angewiesen. Mögliche Standorte sind hier eben wieder die knappen Gewerbeflächen in der Stadt oder solche auf der grünen Wiese am Stadtrand oder im Umland.
Eine andere Idee ist „Multi-Use“, wobei unterschiedliche Nutzer zeitversetzt die gleichen Flächen belegen – Parkhäuser oder Büros werden so nach Feierabend zu Logistik- und Verteilungszentren umgenutzt. Dafür müssten Gewerbeimmobilien zukünftig allerdings anpassungs- und wandlungsfähiger geplant werden. Gute Beispiele sind derzeit noch rar.
Herausforderung 2: Emissionsminderung
Der Wirtschaftsverkehr, der nach wie vor zu einem Großteil vom Diesel-LKW abhängig ist, ist ein wichtiger Verursacher von hohen Feinstaubkonzentrationen in der Stadt. Alternative Antriebe, insbesondere Elektroantriebe, haben es aber bislang schwer in der Logistik. Da sich kein Hersteller fand hat die Deutsche Post AG einen elektrisch angetriebenen Lieferwagen entwickeln lassen und produziert diesen inzwischen auch selbst. Aber weder dieses sehr erfolgreiche StreetScooter der Post noch das E-Fahrrad haben derzeit das Potenzial den Verbrennungsmotor vollständig zu verdrängen.
Die Rückbesinnung auf bi- und trimodale Erschließung (also per Bahn oder Binnenschiff) ist eine Forderung, die bislang ebenfalls nur in Einzelfällen zu erfolgreichen Lösungen führt. Insbesondere im Eisenbahngüterverkehr liegen heute noch Kapazitäten brach, allerdings ist der fortschreitende Rückbau von Anschlussgleisen ein Schritt in die falsche Richtung. Immerhin: Im Gebiet Südring in Neukölln engagiert sich die bezirkliche Wirtschaftsförderung derzeit dafür die bestehenden Gleise der Industriebahn nutzbar zu halten.
Neben der Wahl des Antriebs ist die Vermeidung von Verkehr ein weiterer wichtiger Hebel für eine bessere Umweltverträglichkeit. Notwendig sind Ansätze, die zu einer Effizienzsteigerung führen, also beispielsweise vorhandene Kapazitäten im Güterverkehr durch eine intelligentere Logistik besser nutzen. Die zunehmende Digitalisierung ermöglicht durch die Sammlung und Analyse von Fahrzeugbewegungsdaten, Distributionsnetze effizienter zu gestalten und Fahrten zu vermeiden.
Ausblick
Weitere neue Technologien und Geschäftsmodelle könnten den Wirtschaftsverkehr in Zukunft revolutionieren. Sharing-Konzepte könnten auf den Wirtschaftsverkehr ausgeweitet werden, indem sich mehrere Unternehmen eines Gewerbestandortes ihre Logistikprozesse teilen. Das drohende Verbot von Dieselfahrzeugen in den Kommunen könnte langfristig zu einer kleinteiligeren Infrastruktur führen mit multimodalen Mobilitätsketten auch in der Logistik. In Hamburg experimentiert UPS mit mobilen Wechselbrücken: Container werden täglich voll in die Stadt gefahren und die Pakete mit E-Bikes auf der letzten Meile weiter verteilt. Langfristig könnten auch autonome Fahrzeuge in den Logistikketten eingesetzt werden. Welche Technologien sich am Ende durchsetzen ist noch offen.
Der Handlungsdruck jedenfalls bleibt hoch. Die Chancen sich durch ein überzeugendes Konzept als innovativer Standort zu profilieren oder eine gute Lösung zu einem wirtschaftlichen Erfolg zu führen jedoch ebenfalls.
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