Nach Jahren der Stagnation stehen die wachsenden Städte zumindest in Deutschland vor einem (Luxus?)-Problem: Sie müssen investieren, damit auch zukünftig eine ausreichende Zahl an funktionsfähigen Schulen, Straßen oder öffentliche Badeanstalten bereitstehen. Für die Bereitstellung von Wohnraum gilt dies ohnehin. Und die finanziellen Mittel für die Baumaßnahmen stehen meist sogar zur Verfügung. Aber die Umsetzung wird immer schwieriger: Die enger werdenden Städte bringen Frust bei vielen Bewohner mit sich und führen zur Ablehnung von jeglichen Bauvorhaben. Die Kapazitäten der Bauwirtschaft sind begrenzt, die Unternehmen werden von privaten Auftraggebern mit attraktiveren Rahmenbedingungen gelockt. Und vor allem: die Fachkräfte in den Verwaltungen zur Umsetzung der Maßnahmen fehlen. Am Beispiel der Schulbauoffensive in Berlin haben wir dieses multiple Dilemma im Auftrag von Handwerkskammer Berlin und Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg exemplarisch untersucht.
Zunächst die gute Nachricht: Die wachsende Stadt Berlin investiert – nach vielen Jahren des Sparens – wieder in die Schulen. Rund 5,5 Mrd. Euro sollen bis 2026 für Neubau und Sanierung dieser Berliner Bildungseinrichtungen ausgegeben werden. Dabei stehen die Schulen allerdings nur exemplarisch für notwendige Maßnahmen in zahlreichen Bereichen der Infrastruktur, in denen für die kommenden Jahren eine weiter steigende öffentliche Bautätigkeit zu erwarten ist: so wird es u.a. in Hochschulen, Krankenhäusern, Bädern, Verkehrsinfrastruktur sowie weiteren Bereichen der dort vorhandene Sanierungsstau zu Handlungsbedarf kommen. Die Konsequenz: Bund, Land und Bezirke müssen in den nächsten Jahren massiv investieren. Die folgende Übersicht zeigt einige Bereiche, für die konkrete Investitions- oder Bedarfsplanungen vorliegen.
Allerdings fällt dieses Engagement der öffentlichen Hand in eine Phase, in der die Auslastung des Baugewerbes bundesweit historisch hoch ist. Diese Situation wird nach unseren Berechnungen dazu führen, dass die Kosten für die Maßnahmen der Berliner Schulbauoffensive (BSO) mit ca. 7,9 Milliarden Euro um rund 2,4 Milliarden Euro höher ausfallen werden, als die veranschlagten 5,5 Milliarden Euro. Zudem werden die Arbeiten aller Voraussicht nach länger dauern als vorgesehen. Letzteres ist vor allem auf Kapazitätsengpässe in der Verwaltung zurückzuführen.
Dabei wären die Chancen dieses Programms für das lokale Baugewerbe groß: Rund 4.000 Arbeitsplätze könnten alleine durch die direkten Effekte der Investitionen geschaffen werden. Gleichzeitig könnte sich Berlin zu einem Kompetenzstandort für den Schulbau entwickeln und damit an die Initiativen der 90er-Jahre zum innovativen Bauen anknüpfen. Die Voraussetzung: Die regionale Bauwirtschaft muss einen wesentlichen Teil der Baumaßnahmen übernehmen.
Bei einer Analyse der Rahmenbedingungen lassen mehrere zentrale Faktoren ausmachen, die derzeit einer Aktivierung dieser Potenziale im Weg stehen:
- Die Strukturen und Prozesse im öffentlichen Handeln sind derzeit noch zu sperrig und vielfach nicht den Herausforderungen angemessen. Die Taskforce der Schulbauinitiative ist hier ein guter Anfang, weitere Verbesserungen, beispielsweise im Bereich der behördenübergreifenden Kommunikation sind jedoch notwendig. Dies betrifft die Umsetzung der Projekte, aber vor allem auch die Bearbeitung von Genehmigungsverfahren.
- Nach Jahren des Personalabbaus ist der Fachkräftemangel in den Verwaltungen eine zentrale Herausforderung für die öffentliche Hand. Die Bemühungen auf Senats- und Bezirksebene die Personaldecke wieder zu stärken stoßen auf große Schwierigkeiten. Für die nächsten Jahre sind daher dramatische Engpässe zu erwarten.
- Die öffentlichen Auftraggeber haben zunehmend Schwierigkeiten auf ihre Ausschreibungen auch qualifizierte Angebote zu erhalten. Dies liegt an den insbesondere für kleine und mittlere Betriebe unattraktiven Bedingungen der öffentlichen Vergaben. So übersteigen beispielsweise die vorgesehenen Losgrößen in vielen Fällen die Möglichkeiten der mittelständischen Bauwirtschaft deutlich. Insbesondere aber machen die Vergabeverfahren ein Engagement im öffentlichen Bau für viele Betriebe uninteressant. Die Verbände haben hier eine Reihe von wichtigen Anforderungen zusammengestellt.
Was also ist zu tun? Aus unserer Sicht kann eine derartige Herausforderung nur bewältigt werden, wenn es gelingt alle Akteure für das Projekt zu begeistern. Die folgenden Maßnahmenbereiche bilden die zentralen Hebel, wobei die Einzelmaßnahmen im Weiteren konkretisiert und zwischen den Akteuren abgestimmt werden müssen.
- Um diese Herausforderung bewältigen zu können ist zunächst ein öffentlich-privates Commitment gefordert – gefragt sind also die zuständigen öffentlichen Akteure ebenso, wie die Vertreter der betreffenden Kammern und Institutionen. Denn ein vertrauensvolles Miteinander von öffentlicher Hand und Unternehmen bildet die notwendige Basis für die Bereitschaft der Bauwirtschaft zu mehr Investitionen und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze als Voraussetzung für die Realisierung der geplanten Maßnahmen.
- Auf dieser Grundlage muss eine gemeinsame Initiative gestartet werden, die dazu beiträgt das Bauen wieder als gesamtgesellschaftliche Aufgabe anzuerkennen, das Image des Bauens zu verbessern und damit auch die Attraktivität der Arbeitsplätze in baunahen Berufen zu erhöhen.
- Dieser Paradigmenwechsel ermöglicht eine gemeinsame Fachkräfteinitiative, die darauf ausgerichtet ist Bauberufe für die jungen Menschen wieder interessant zu machen. Gesucht werden neben den klassischen Baufachkräften auch zunehmend Ingenieure und Planer, die sich für diese Herausforderungen begeistern.
- Vor dem Hintergrund der starken Konkurrenz um leistungsfähige und qualifizierte Bauunternehmen wird es immer wichtiger das öffentliche Vergabewesen zu verbessern und zu vereinfachen. Zahlreiche Vorschläge sind gemacht, allein es fehlt die Umsetzung.
So groß die Chancen auch sind – derzeit deutet wenig darauf hin, dass diese auch wahrgenommen werden. Die Maßnahmenbereiche sind – zumindest als konzertierte Aktion – noch unbesetzt, ein einheitliches und abgestimmtes Handeln fehlt.
Dabei dürften die Herausforderungen nicht weniger werden – Aussitzen lassen sie sich daher nicht. Vielmehr werden die globalen Megatrend wie beispielsweise Gentrifizierung, Klimawandel und Digitalisierung weiteren Handlungsbedarf im Baubereich mit sich bringen. Auch und gerade die Infrastruktur wird hier überdurchschnittlich betroffen sein. Wir benötigen daher dringend handlungsfähige und -willige Akteure auf allen Seiten des runden Tisches.
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