Den Unternehmen, die sich im Berliner Bezirk Lichtenberg ansiedeln oder erweitern möchten, stehen heute wesentlich weniger Möglichkeiten offen als noch vor etwas mehr als 20 Jahren: Um insgesamt knapp 30% (bzw. 236 ha) ist die Kulisse der für gewerbliche Nutzungen geeigneten Flächen seit 1995 zurück gegangen. Betrachtet man allein Potenzialflächen, die zukünftige Gewerbeansiedlungen ermöglichen sollen, beträgt der Flächenverlust sogar 65% – von ehemals 72 ha sind nur noch 25 ha verfügbar.
Und dies trotz einem starken wirtschaftspolitischen Engagement zum Schutz von Industrie und Gewerbe in der Stadt. Eine erste Initiative zur Stärkung der Industrie im Wettbewerb um die Flächen stellte das Industrieflächensicherungskonzept dar, das der Berliner Senat bereits am 10. November 1992 beschlossen hat. Schwerpunkt des Konzepts ist der Schutz von Standorten, die von besonderer Bedeutung für den produktionsgeprägten Bereich der Wirtschaft sind – also vor allem Industrie und produzierendes Handwerk. Im Jahr 2000 wurde das Instrument um eine strategische Komponente ergänzt und zum Entwicklungskonzept für den produktionsgeprägten Bereich (EpB) erweitert. Das Konzept der Senatsverwaltung für Wirtschaft wurde 2011 in den Stadtentwicklungsplan Industrie und Gewerbe der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung integriert.
Während diese Sicherung der Standorte des EpB offenbar vergleichsweise gut gelingt, werden die übrigen für Gewerbe geeigneten Flächen immer weniger. Unter Druck sind vor allem Streulagen, kleinere Standorte und Potenzialflächen. Die Ansatzpunkte, die der Stadtentwicklungsplan Industrie und Gewerbe für diese Flächen bietet, sind bescheiden. Dabei ist der Druck auf die Gewerbeflächenkulisse groß und steigt weiter. Die Konseqenzen werden als schleichende Um- und Fremdnutzung sichtbar, die häufig auch auf politische Entscheidungen zu Lasten der Gewerbekulisse zurückzuführen sind.
Deutlich lässt sich dies am Fall des Berliner Bezirks Lichtenberg zeigen: Der Vergleich der Situation der Jahre 1995 und 2017 basiert auf Erhebungen des Büros für Wirtschaftsförderung im Bezirksamt Lichtenberg. An Stellen, an denen vormals Industrie und Gewerbe ansässig war, sind Wohnungen, großflächiger Einzelhandel oder Parkanlagen entstanden. Dies gilt beispielsweise für große Flächen an der Rummelsburger Bucht, wo ein Wohngebiet in attraktiver Wasserlage entstanden ist. Entlang der Landsberger Allee haben sich auf ehemaligen Industrieflächen große Möbelhäuser breitgemacht.
Und selbst jetzt, wo die Nachfrage nach Gewerbeflächen hoch ist und die erzielten Grundstückspreise und Mieten auskömmlich sind, ist die Gefahr nicht gebannt. Denn auch die Rendite der konkurrierenden Nutzungen steigt. Und so stehen die Gewerbegebiete unter einem kontinuierlichen Umnutzungsdruck. Wettbewerber um die letzten bebaubaren Flächen sind traditionell der Einzelhandel, der in Form flächenintensiver Discounter-Märkte die Ränder bestehender Gewerbegebiete anknabbert, aber zunehmend auch Bürodienstleister und Wohnungsbau. Handwerksbetriebe und emittierende Unternehmen haben dann das Nachsehen: Sie verschwinden ganz oder ziehen weiter in Richtung Stadtrand. Keine gute Nachricht für die Stadt der kurzen Wege.
Die aktuelle Überarbeitung des Stadtentwicklungplans Industrie und Gewerbe bietet die Chance, bringt aber auch die Herausforderung mit sich, diesen Erfahrungen Rechnung zu tragen.
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