Noch vor einigen Jahren wäre der Berliner Bezirk Lichtenberg wohl kaum auf einer Landkarte wichtiger Standorte für die Kreativwirtschaft aufgetaucht. Der Arbeiterbezirk im Osten der Hauptstadt lag gefühlt Welten von den Szenekiezen im benachbarten Friedrichshain oder Prenzlauer Berg entfernt. Das hat sich in den letzten etwa 10 Jahren deutlich geändert. Welche Standorte sucht die Kreativwirtschaft in Lichtenberg? Ein Erfassungs- und Kartierungsprojekt im Auftrag des Bezirksamts in Lichtenberg sollte diese Frage beantworten.
Pioniere und Hotspots bahnten den Weg
Aus der (Raum-) Not eine Tugend machten zu Beginn etwa einige bildende Künstler, die aus dem zunehmend teuren Pflaster der inneren Stadtbezirke in den weitgehend stillgelegten Betriebsbahnhof Lichtenberg Ost (BLO) übersiedelten und sich dort einige Räume zu Ateliers und Werkstätten ausbauten. Der Standort “Ateliergelände BLO Lokkunst e.V.” hat sich inzwischen zu einem weit über die Bezirksgrenzen bekannten kreativen Hotspot entwickelt und strahlt gleichzeitig auf die umgebenden Kieze Lichtenbergs aus. Das benachbarte Kaskelkiez entwickelte sich zu einem Quartier mit hoher Galleriedichte in dem sich heute Kreativschaffende wie z. B. Architekten und Designer in räumlicher Nähe mit Wohnen und Arbeiten finden lassen.
Ein Blick auf die Karte der Kreativwirtschaft (unten) bestätigt diese Beobachtung: Rund um die Kreativ-Hotsports (z.B. Studios ID, Kunstfabrik HB55, Heikonaut, Gaswerksiedlung) finden sich heute die weitaus meisten kreativwirtschaftlichen Standorte – also einzelne Unternehmen oder Einrichtungen mit kreativwirtschaftlichem Profil (die hier als rote Wolke dargestellt werden). Ebenfalls deutlich wird: Vor allem der südliche Bereich entlang der Spree (in direkter Nachbarschaft zu wichtigen kreativen Kiezen der Nachbarbezirke) sowie die Gewerbegebiete sind attraktiv für die Kreativen.
Kunst ist nicht gleich Kunst – die Vielfalt der Standorte
Gewerbegebiete sind bei Kreativschaffenden besonders beliebt – insbesondere bei solchen, die für ihre Arbeit große Flächen benötigen, gelegentlich Lärm machen oder der sogenannten “Kunstproduktion” zuzurechnen sind, also durchaus auch zu Hammer oder Schweißgerät greifen, um ihre Kunst herzustellen. Schwieriger ist es für Clubs oder Künstler, die vor Ort ausstellen möchten und somit auf Publikumsverkehr angewiesen sind. Sie sind in Gewerbegebieten nicht zulässig, informelle Standorte dieser Art führten in der Vergangenheit beispielsweise in der Herzbergstraße immer wieder zu Konflikten – mit der Bezirksverwaltung und mit benachbarten produzierenden Betrieben, die ebenfalls die Verdrängung aus der Stadt fürchten.
Neben leerstehenden Ladengeschäften, die wie im Kaskelkiez zum Beispiel zur Galerie oder zu einem Atelier umgenutzt werden, sind auch größere Leerstände – häufig aus Vorwendezeiten – begehrte Standorte für die Kreativszene. Beispiele sind das Rockhouse Berlin oder die Herzbergstraße 100, beides Bürogebäude aus DDR-Zeiten, die modernen Ansprüchen für eine Büronutzung nicht mehr genügten, aber dafür zu einem weithin hörbaren Standort für die Musikszene geworden sind. Der temporäre Charakter dieser Nutzungen zeigt sich auch darin, dass diese Band-Proberäume überwiegend ohne größere Investitionen umgesetzt werden konnten. Dies bedeutet in der Regel aber auch, dass die Künstler eines Tages weiterziehen müssen.
Künstler auf der Durchreise? – der wachsende Druck auf die Flächen
Von den steigenden Flächenpreisen sind – inzwischen auch in Lichtenberg – immer wieder derartige Kreativstandorte bedroht. Einerseits lösen die kreativen Hotspots häufig selbst eine Gentrifizierung in ihrem Kiez aus, indem Kunstschaffende in die Umgebung ziehen oder die Standorte interessiertes Publikum anziehen. Andererseits rufen zunächst informelle kreative Standorte beispielsweise in Gewerbegebieten mit zunehmender Entwicklung und Aufwertung den Bezirk sowie die konkurrierenden (gewerblichen) Nutzungen in der Umgebung auf den Plan.
Investoren setzen zwar gerne auf den Image-Faktor der kreativen Szene, sehen in Neubauprojekten aber nur selten Räume vor, die für Kreativschaffende finanzierbar und attraktiv sind. Ganz abgesehen davon ist der Charme der Improvisation einer der Standortfaktoren, der in den letzten Jahren immer wieder für Lichtenberg sprach – bekannte Beispiele sind das Gelände der Heikonauten oder ehemalige STASI-Liegenschaften in Hohenschönhausen mit den ID-Studios.
Die Kreativwirtschaft ist Image-prägend – und (nicht nur) für Lichtenberg deshalb besonders wertvoll
Es ist ein schwieriger Balance-Akt, einerseits der für Lichtenberg zunehmend Image-prägenden Kreativwirtschaft geeignete Standorte zu bieten und diese langfristig zu sichern, dabei aber andererseits den steigenden Flächenpreisen mit Investitionen in modernen Wohn- und Gewerbeflächen Rechnung zu tragen. Nur auf wenigen Flächen kann der Bezirk als Flächeneigentümer die politisch gewollten und für den Standort wichtigen Akzente setzen: Für einen kreativen Bezirk, für einen produktiven Bezirk und für einen attraktiven Wohnstandort.