Mitarbeit: Ilias Dimakopoulos
Kann die Renaissance der urbanen (Klein-)Industrie einen signifikanten Beitrag zur Lösung von städtischen Raumnutzungskonflikten in Berlin darstellen? Ist innerstädtische Produktion möglich – und unter welchen Umständen? Eine Analyse am Beispiel der Mikrobrauereien.
Zunächst also zum Lieblingsprodukt der Deutschen, dem Bier. Die Brauereibranche ist insofern besonders interessant, als der bundesweite pro-Kopf-Konsum mit durchschnittlichen 106 Litern Bier pro Jahr[1] nach wie vor beachtlich ist. Zudem ist in den letzten Jahren die Popularität des Craft-Biers gewachsen. Damit ergibt sich in einem weitgehend konzentrierten Markt auch für kleinere Produzenten eine Chance. Im Jahr 2014 betrug der Anteil der Craft-Bier Neueinführungen an allen neuen Biersorten in Deutschland 12% und im gleichen Zeitraum stieg die Anzahl von Mikrobrauereien[2] um 11%.[3] Berlin hat sich dabei zum Craft-Bier-Hotspot der Republik entwickelt: Lokal produziertes Craft-Bier wird nicht nur in immer mehr gastronomischen Einrichtungen angeboten, sondern gehört auch in Spätis und Getränkemärkten längst zum Standardsortiment. Mit der wachsenden Zahl der Craft-Brauereien in Berlin hat sich auch die Anzahl der gesamten Brauereien in Berlin und Brandenburg seit der Jahrtausendwende auf insgesamt 62 verdoppelt.[4]
Rückkehr der handwerklichen Produktion
Craft-Bier wird in der Regel in Manufaktur-Brauereien hergestellt, die sich durch einen handwerklichen Produktionsprozess und eine deutlich geringere Produktionsmenge von industriellen Brauereien unterscheiden. Zum Vergleich: Berliner Craft-Brauereien produzieren oftmals nicht mehr als 5.000 Hektoliter Bier im Jahr; die Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei hingegen hat ein jährliches Produktionsvolumen von 1,5 Millionen Hektolitern. Ein weiteres Merkmal der Craft-Brauereien ist die Neuinterpretation klassischer Rezepturen mit unkonventionellen Geschmacksaromen, wie z.B. der von Früchten.
Bedeutende Akteure der dynamischen Entwicklung des Brauereigewerbes in Berlin der letzten Jahre sind vor allem die Craft-Bier-Produktionsbetriebe: Dazu gehören Craft-Brauereien, Gaststättenbrauereien und großflächige Event-Gaststättenbrauereien:
- Als Craft-Brauereien werden Produktionsstandorte bezeichnet, die in eigenen Produktionsanlagen ausschließlich Craft-Bier produzieren, abfüllen und lokal bis international vertreiben (z.B. die BrewBaker Brauerei in Moabit oder die Berliner Berg Brauerei in Neukölln).
- Gaststättenbrauereien verfügen ebenfalls über eigene Produktionsanlagen, das abgefüllte Bier wird aber auch direkt vor Ort konsumiert. Einige Gaststättenbrauereien, wie z.B. die Privatbrauerei am Rollberg oder die Standorte des Brauhauses Lemke, fungieren darüber hinaus auch als gewerbliche Produktionsstandorte. Dort werden größere Mengen Craft-Bier produziert und lokal bis national vertrieben.
- Großflächige Brauerei- und Gaststättenanlagen wie die des BRLO am Gleisdreieck oder Stone Brewing im ehemaligen Gaswerk von Alt-Mariendorf sind ebenfalls bedeutende Produktionsstandorte. In diesen Anlagen werden große Mengen von Craft-Bier produziert, obwohl ein Schwerpunkt des Geschäftsmodells hier im Event-Gastbetrieb liegt. Durch ein erfolgreiches Marketing ist es insbesondere dieser Art von Brauereibetrieben gelungen, größere Mengen der eigenen Produkte in einem lokal bis internationalen Vertriebsnetz gewerblich zu vertreiben und den eigenen Standort gleichzeitig als touristische Destination in Berlin zu positionieren.
Wo sind die Standorte dieser Craft-Bier-Produktionsbetriebe und können Unternehmen, die beispielsweise in Wohn- und Mischgebieten angesiedelt sind, dort uneingeschränkt produzieren – so wie es das Modell der „Produktiven Stadt“ vorsieht? Und schließlich: Sind innerstädtische Produktionsstandorte wirtschaftlich? Um das zu klären, haben wir die Standorte von sechs Craft-Brauereien, neun Gaststättenbrauereien und zwei großflächigen Event-Gaststättenbrauereien auf der Grundlage des Flächennutzungsplans von Berlin[5] analysiert.
Zukunftssichere Produktionsstandorte im Wohngebiet?
Dabei wurde deutlich, dass von den sechs Craft-Brauereien vier in Gewerbegebieten angesiedelt sind und sich lediglich zwei Produktionsstandorte in Wohngebieten befinden. Es fällt auf, dass die in Wohngebieten ansässigen Unternehmen – wie z.B. die Mikrobrauerei Flessa Bräu – die geringsten Produktionsmengen[6] aufweisen. Bemerkenswert ist weiterhin, dass expandierende Craft-Brauereien in der Regel ihren Produktionsstandort ins Gewerbegebiet verlagern. Dies gilt etwa für die Berliner Bierfabrik, die im Jahr 2014 aus dem Wedding in neue Produktionshallen im Marzahner Gewerbegebiet „Zur Alten Börse“ umgezogen ist. Eine der jüngsten Neugründungen – die Craft-Brauerei Malz&Moritz – siedelte sich, nachdem die Kapazität der Brauanlage im Elternhaus an ihre Grenzen stieß, im Jahr 2015 direkt im Gewerbegebiet Goerzallee an. Als Neugründung bezeichnen wir den Zeitpunkt, ab dem die Produktion einer Craft-Brauerei an einem festen Standort in eigenen Produktionsanlagen stattfindet. Denn zahlreiche Craft-Brauereien Berlins verfügen nicht über eigene Produktionsanlagen und nutzen die Standorte von anderen Brauereien und/oder Gaststättenbrauereien – diese werden Phantombrauereien genannt.
Von den Gaststättenbrauereien haben wir neun Betriebe mit vergleichsweise hoher Produktionsmenge als relevant eingeschätzt. Von diesen haben fünf ihren Standort in Wohngebieten, ein Unternehmen ließ sich auf einer Bahnfläche lokalisieren und drei weitere, darunter das Brauhaus Pfefferbräu, sind in einem Mischgebiet ansässig. Bei diesem Brauereityp konnte kein Zusammenhang zwischen der Größe der Gaststättenbrauerei bzw. Produktions- und Vertriebsmenge und einer Standortpräferenz hergestellt werden. Bei wachsendem Geschäftsvolumen bevorzugte es z.B. die Brauerei Lemke weitere Gaststättenbrauereien als Kette in der Berliner Innenstadt zu eröffnen.
Die beiden großflächigen Event-Gaststättenbrauereien – beides Neugründungen aus dem Jahr 2016 – sind beide in einem Gewerbe- bzw. Mischgebiet ansässig.
Urbane Produktion mit Konfliktpotenzial
Über unsere Standortanalyse der drei Brauereitypen hinaus wird deutlich, dass die Berliner Craft-Brauereien, ähnlich wie auch andere Handwerksbetriebe dieser Größenklasse, Produktionsstandorte außerhalb von Wohnflächen bevorzugen und dies umso stärker, je größer die Betriebe werden. Gerade wachstumsbedingte Umzüge hatten in allen Fällen letztlich Gewerbeflächen zum Ziel. Produktionsintensive Gaststättenbrauereien hingegen sind meist in innerstädtischen Wohngebieten lokalisiert – die Event-Gaststättenbrauereien bilden dabei eine signifikante Ausnahme.
Bezüglich der Frage, ob Produktionsstandorte von Craft-Brauereien sich im Sinne der „Produktiven Stadt“ in ein Modell der Koexistenz zwischen Wohnen und Produktion in Berlin einfügen, scheint dies nur für die Genesis und die ersten gewerblichen Schritte der Betriebe zu gelten. Diese zweifelsohne urbane Produktion der Craft-Brauereien stellt jedoch nur eine Nischenproduktion dar. Einen signifikanten Anteil an dem Gesamtbrauereiausstoß können diese Brauereien nicht erzielen. Festzuhalten bleibt, dass mit zunehmender Größe die Craft-Brauereien ihre Produktionsstätten in Gewerbeflächen verlagern. Die Bierproduktion findet in diesen Fällen klassisch, d.h. hauptsächlich im Gewerbegebiet fern von Wohnflächen statt – ein gutes Beispiel für ein Lösungsmodell für Berliner Raumnutzungskonflikte im Sinne einer innerstädtischen Industrie bietet die Craft-Bier-Branche daher nicht. Allerdings: Auch wenn die Produktion von Craft-Bier überwiegen nicht im urbanen Zentrum der Stadt stattfindet, so ist diese dennoch ein wichtiger Beitrag zur Wirtschaft der Stadt und ihrer Vielseitigkeit. Es entsteht ein typisches Berliner Produkt mit großem Potential,[7] welches die Stadtkultur bereichert. Und verdammt gut schmeckt.
[1] Stand: 2015, Deutscher Brauer Bund e.V. (Berechnung auf Basis des Zensus 2011)
[2] Mikrobrauereien mit einem Bierausstoß von max. 1.000 Hektolitern
[3] www.statista.com
[4] Deutscher Brauer Bund e.V. (Berechnung auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes)
[5] Stand: Juni 2016, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt
[6] Die zugrunde gelegten Kennzahlen wurden auf Basis der Webseiten der Brauereien sowie der Auswertung von Fachmagazinen erhoben und geschätzt.
[7] Der Marktanteil von Craft-Bier in Deutschland beträgt ein Prozent (Tendenz steigend). Zum Verglich: Im Mutterland des Craft-Bieres, den USA, liegt der Marktanteil bei elf Prozent. Stand: 2014, www.statista.com.
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