Lieber NABU: Welche Ergänzungen zu Eurer Forderung nach der verdichteten Stadt notwendig sind

Verdichtungspotenzial im Gewerbegebiet
Verdichtungspotenzial? Stellfläche einer Autovermietung in Berlin-Lichtenberg. Foto: regioconsult

Der Naturschutzbund NABU fordert Wohnungsbau nur noch auf bereits versiegelten Flächen der Stadt – und lieferte Ende August öffentlichkeitswirksam auch gleich eine ganze Menge Potenzialflächen in die Debatte. Beim zweiten Blick wird schnell deutlich:  Viele dieser Flächen sind nicht für eine Verdichtung durch Wohnungsbau geeignet – vielleicht aber für das gestapelte Gewerbe in der Stadt von Morgen? Wir haben nachgesehen…

Die Stadt muss zusammenrücken – soviel ist nach Jahren steigender Flächenpreise und angesichts der zunehmenden Versiegelung der Landschaft klar. Der ökologische Fußabdruck der Stadt wird geringer wenn die Dichte steigt. Wie dies zu erreichen wäre ist Gegenstand zahlreicher Debatten, die leider immer wieder an den bekannten Hindernissen scheitern: an der Eigentumsfrage, an Erwägungen der Verträglichkeit, an der klassischen NIMBY-Haltung betroffener Stakeholder, an den Kosten. Zur Frage, welche Flächen für eine Verdichtung in Frage kämen, hat der NABU mutig einen ziemlich konkreten Vorschlag vorgelegt und Potenziale identifiziert: insgesamt 4.892 Einzelflächen mit zusammengefasst rund 985 Hektar.

Der NABU-Vorschlag: Eine sehr grobe Annäherung

Ein Blick in den Datensatz des NABU spricht uns als Gewerbeflächenexperten an, denn etwa 11% des identifizierten Flächenpotenzials, insgesamt knapp 115 Hektar, liegen innerhalb der Gewerbeflächenkulisse des FNP – und kommen daher für die angeregte Wohnbebauung nicht in Frage. Es handelt sich dabei vor allem um Parkplätze und Brachflächen, aber auch um Betriebs-Außenflächen, beispielsweise des Autohandels. Wären all diese Potenziale als Flächen für das Gewerbe aktivierbar – für Nachfrage wäre sicherlich gesorgt: Zahlreiche Handwerksbetriebe und stadtaffine Gewerbe werden in Berlin aus den inneren Stadtvierteln verdrängt und suchen händeringend nach bezahlbaren Produktions- oder Logistikflächen, die sie selbst am Rand der Hauptstadt kaum noch finden.

Wir machen die Probe aufs Exempel und schauen einmal genauer hin, welche Flächen laut NABU für eine Verdichtung der Stadt genutzt werden sollten. Als Stichprobe wählen wir Lichtenberg, ein Bezirk den wir gut kennen: Hier erstellen wir nämlich das neue bezirkliche Wirtschaftsflächenkonzept.

Verdichtungspotenzial laut NABU im Bereich Lichtenberg

Ein Blick in die Daten: Verdichtungspotenzial zumindest für das Gewerbe?

Die Karte zeigt einen Teilbereich Lichtenbergs mit dem Gewerbegebiet Herzbergstraße unten links und dem Gewerbegebiet Plauener Straße / Marzahner Straße oben rechts. Die meisten von NABU als Verdichtungspotenzial (für Wohnungen!) markierten Bereiche sind Parkplätze (in gelb), etwa rund um die Fachmarktagglomeration mit IKEA an der Landsberger Allee (Bildmitte) oder der Parkplatz des populären vietnamesischen Großmarkts in der Herzbergstraße, des Dong-Xuan-Centers. Auch betriebliche Parkplätze für Angestellte und Fahrzeugflotten der ansässigen Unternehmen sind hier häufig gelb markiert, also offenbar vom NABU als geeignetes Potenzial eingestuft. Die wenigen roten Flecken sind weitere Betriebsflächen, die laut NABU überbaut werden könnten.

Wenn schon nicht für Wohnungen – wären diese Flächen denn für die Verdichtung durch gewerbliche Nutzer geeignet? Ganz abwegig erscheint uns dies nicht. Tatsächlich werden z.B. in der Herzbergstraße Überlegungen in dieser Richtung angestellt, denn gerade beim Thema Stellplatzflächen für den Wirtschaftsverkehr ist der Handlungsdruck groß: Viele Freiflächen und Brachen in den Gewerbegebieten werden absehbar bereits mit neuen Produktions- und Logistikhallen überbaut. Das örtliche Standortnetzwerk und mehrere Unternehmer diskutieren deshalb den Bau von Parkhäusern, auch für die Flotten der örtlichen Handwerksbetriebe und Logistiker – unter anderem auf dem Gelände des Dong-Xuan-Centers. Und warum sollten PKW-orientierte Fachmärkte wie IKEA ihre Parkplätze nicht in mehrstöckigen Parkhäusern anbieten (s. IKEA Spandau) und auf derselben Grundfläche Raum für andere Nutzungen schaffen?

Keine ganz abwegige Idee – aber viele Hindernisse

Schaut man die obige Karte noch ein wenig genauer an so fällt auf, dass tatsächlich noch viel mehr Flächen für eine Verdichtung durch Überbauung, Aufstockung oder Anbau in Frage käme. Tatsächlich gibt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sogar einen Wegweiser zum Thema Nachverdichtung von Gewerbestandorten heraus. Klar: Der NABU-Vorschlag soll die Debatte beleben und zum Blick auf die Möglichkeiten in der eigenen Nachbarschaft anregen. Viel schwieriger als die Identifikation solcher Verdichtungspotenziale ist am Ende aber ihre Umsetzung gegen die zahlreichen Hindernisse: Bestehendes Planungsrecht, schwierige Verhandlungen mit Flächeneigentümern, Nutzungskonflikte und nicht zuletzt stadtökologische Aspekte bremsen die Verdichtung. Die hohen Baukosten und die komplexe innerbetriebliche Logistik bei “gestapeltem” Gewerbe vereiteln viele Initiativen. In der Herzbergstraße wären konkret neue Konzepte für Verkehr und Energieversorgung notwendig um eine höhere Dichte erst zu ermöglichen.

Eine proaktive Gewerbeflächenpolitik ist gefragt

Viele Maßnahmen für eine verbesserte Flächeneffizienz erfordern eine deutliche politische Weichenstellung auf Senats- und – insbesondere beim Thema Planungsrecht – auch auf Bundesebene. Innovative Konzepte wie die Entwicklung neuer Gewerbehöfe müssen aus ihrem Modellprojekt-Status herauswachsen und breitere Anwendung finden. Eine Anpassung gewerbeflächenpolitischer Konzepte aus der Vergangenheit an die Anforderungen von heute ist erforderlich – Stichwort Flächenkreislaufwirtschaft – und soll jetzt beispielsweise für das Entwicklungskonzept für den produktionsgeprägten Bereich (EpB) tatsächlich in Angriff genommen werden.

Nicht zuletzt wären finanzielle Anreize für Investoren und Nutzer notwendig, um bei allem notwendigen Kapitalaufwand die Flächenpreise in erträglicher Höhe zu halten.

Eine nach stadtplanerischen und regionalökonomischen Maßstäben belastbare Suche nach geeigneten Verdichtungspotenzialen findet übrigens bereits statt: im Rahmen des Wirtschaftsflächenkonzepts beispielsweise in Lichtenberg durch regioteam. Denn in diesem Punkt hat der NABU recht: Verdichtung ist dringend gefordert.